Das Jahrhundertmagazin

«Das Tiefenlager ist typisch Schweiz»

Anna Haifisch ist ein Star des Independent-Comics – ihre Werke verbinden Abstraktion und Humor mit einem düsteren Grundton, einen fragenden Strich mit kräftigen Farben. Die gesamte Bebilderung der diesjährigen Ausgabe von «500m+» stammt von ihr. Wir haben mit der 39-jährigen Leipziger Künstlerin darüber gesprochen, wie sie an die Aufgabe herangegangen ist.

Als Sie die Anfrage bekommen haben, Illustrationen zum Thema Tiefenlager zu machen – was war Ihr erster Gedanke?
«Das ist interessant!» Ich mag beim Zeichnen ja gern das Dunkle und Böse. Das Tiefenlager ist jetzt nicht unbedingt böse, aber irgendwie hat das Thema Atommüll ja schon was Düsteres. Das fand ich spannend.

Wussten Sie schon viel über das Thema?
Nicht wirklich. Hier in Deutschland gab es in den 90ern ja die Castor-Transporte und die Proteste dagegen, das geisterte damals ziemlich durch die Medien. Aber jetzt weiss ich gar nicht, wo wir in Deutschland stehen bei der Frage. Ob wir das ins Meer kippen oder an irgendwen verkaufen, das ist mir ziemlich unklar, ehrlich
gesagt. Eigentlich ein bisschen schwachsinnig, sich nicht damit zu beschäftigen.

Nach meiner Erfahrung machen sich sehr viele Menschen keine Gedanken darüber, was mit atomarem Abfall passiert.
Man hat ja auch keine Vorstellung, was für Mengen da anfallen. Was ist in diesen Castor-Behältern drin, ist das ein Körnchen, ist das eine Stange?

Haben Sie dann recherchiert?
Ja, ich hab Schweizer Zeitungsartikel gelesen, weil ich dachte, vielleicht ist das Thema ja auch mit Protesten und Aufschrei verbunden, was ja interessanterweise nicht so ist. Und insgesamt hat mir das alles total eingeleuchtet, im Sinne von: Bevor man das alles jetzt irgendeinem/r Schurk:in verkauft, die oder der es dann auch wieder verklappt, ist das natürlich die sauberste Lösung. Typisch Schweiz: Man kümmert sich früh, ordentlich und langfristig darum. (Lacht)

Für dieses Heft haben Sie sieben verschiedene Risikoszenarien entworfen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich hab mir als Erstes angeschaut, wie das Tiefenlager dereinst aussehen soll, um einen ungefähren Eindruck zu bekommen. Dann dachte ich: Eieiei, technische Dinge zu zeichnen ist so eine Sache, da hilft Humor. Ich wollte die grossen Unglücke wie Meteoriten, Fluten und Erdbeben zeichnen, aber eben auch die kleinen Missgeschicke festhalten.

Auf Ihren Bildern sind vor allen Dingen Tiere zu sehen. Eichhörnchen suchen Nüsse, Kühe tragen das Erdreich ab, Rochen schwimmen herum, Marder beissen Kabel durch. Wie kommt’s?
Ich zeichne gern Tiere, das macht einfach Spass. Und so muss ich weniger Entscheidungen treffen, etwa betreffend Geschlecht oder so. Tiere sind etwas abstrakter.

Gibt es für Sie wahrscheinlichere und weniger wahrscheinliche Szenarien – oder ist das Risiko für Sie gar nicht fassbar?
Das grösste Risiko sind meistens Banalitäten, die eine Kette von ungünstigen Ereignissen auslösen könnten. Das finde ich sehr fassbar. Dass eben ein Marder in einem Serverraum ein Kabel durchbeisst, ist bestimmt schon passiert. Sie lieben ja Kabel. Und der Server muss nicht 900 Meter unter der Erde stehen. Vielleicht steht der in Norwegen und ein:e Mitarbeiter:in lässt das Tier nach der Mittagspause versehentlich ins Büro. Bei den Eichhörnchen fand ich es lustig, darüber nachzudenken, was wohl passiert, wenn nicht nur Menschen ein Lager anlegen, sondern auch eine Horde Eichhörnchen. Könnten sich Nüsschen und Brennstäbe irgendwann in die Quere kommen?

Welche Rolle spielt Humor, wenn es doch um Risiken und Ängste geht?
Ich finde, er muss stattfinden. Gerade bei schweren Themen. Aber es ist natürlich ein schmaler Grat zwischen humorvoll zu sein und sich lustig zu machen oder das Thema zu verharmlosen.

Wie treffen Sie Ihre Farbwahl?
Es gibt eine Farbwelt, die ich gern benutze. Gelb, Rot, Schwarz nehme ich viel, auch Braun, bisschen Lila. Und viel Orange. Ein bisschen dystopisch, apokalyptisch. Das passte also sowieso gut zum Thema (lacht).

Beim Thema Endlager befasst man sich ja mit enormen Zeiträumen, denkt eine Million Jahre in die Zukunft. Was denken Sie: Wie wird die Welt dereinst aussehen?
Sagen wir es so: Ich halte nicht allzu viel von der menschlichen Natur. Ich rechne darum nicht damit, dass wir da noch auf der Erde rumkriechen. Die einzigen Zweibeiner auf der Erde, denke ich, werden dann Vögel sein. Das finde ich aber auch gar nicht so schlimm.

Sie denken also, wir Menschen löschen uns selbst aus, sind auch schon dabei?
Ja, ich glaube, wir werden an unserem Stolz, unserer Dummheit und unserer Gier zugrunde gehen. Aber eben, ich finde den Gedanken jetzt gar nicht so beunruhigend. Das kann einem doch eigentlich herrlich egal sein.

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