Das Jahrhundertmagazin

Die grössten Risiken für die Menschheit – und jene für die Schweiz

Manche Risiken drohen uns den Tag zu versauen – andere, die gesamte Menschheit zu vernichten. Wissenschaftler:innen arbeiten daran, die dringendsten Gefahren für unsere Spezies zu erkennen und zu verstehen. Eine Übersicht.

Als am 6. August 1945 die Atombombe auf Hiroshima fiel, wusste J. Robert Oppenheimer: Er muss etwas tun. Wenige Wochen später gründete der Vater der Atombombe gemeinsam mit Albert Einstein und weiteren Wissenschaftlern die Organisation The Bulletin of the Atomic Scientists. Ihr Ziel: Die Welt vor den Gefahren der Atomtechnologie zu warnen.

1947 setzten die Wissenschaftler des Bulletins eine Uhr auf das Cover ihres Magazins, die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr. Es sei sieben Minuten vor Weltuntergang, warnten sie – und stellten die Uhr seither 25-mal vor oder zurück. Zum letzten Mal im Januar 2025.

«Im Jahr 2024 rückte die Menschheit der Katastrophe noch näher», verkündeten die Wissenschaftler:innen und konkretisierten: «So nah wie noch nie.» Sie nennen die Konflikte der Atommächte in der Ukraine und im Nahen Osten, die Klimakrise, Fake News und Verschwörungstheorien sowie die rasanten Entwicklungen in Biotechnologie und Künstlicher Intelligenz, die Militärs und Terrorist:innen nutzen könnten.

Es sei 89 Sekunden vor Mitternacht.

Doch welche Gefahren sind so gross, dass sie unsere ganze Spezies auslöschen könnten? Und mit welchen Risiken sind wir in der Schweiz konfrontiert? Eine Übersicht.

Auslöschung durch Klimawandel und Umweltkollaps

Wahrscheinlichkeit bis 2100: ca. 0,1 Prozent*

Der menschengemachte Klimawandel schreitet immer weiter voran: 2024 haben wir zum ersten Mal die im Pariser Klimaabkommen als Ziel gesetzte 1,5-Grad-Grenze überschritten und die globalen CO2-Emissionen steigen Jahr für Jahr an. Wir erleben mehr Hitzewellen und Hitzetote, Dürren und Überschwemmungen. Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt und unsere Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht.

Durch den Klimawandel, Abholzung und Überfischung sterben zudem jeden Tag circa 150 Tier- und Pflanzenarten aus. Dieser Verlust an Biodiversität schwächt die Abwehrkräfte der Ökosysteme weiter.

Verstärken sich all diese Faktoren gegenseitig, drohen wir, sogenannte Kipppunkte zu überschreiten. «Das ist wie bei einer wertvollen Vase, die zunächst stehen bleibt, wenn die Tischplatte immer schiefer gestellt wird», erklären die Wissenschaftler:innen des Potsdam-Instituts für Klimaforschung. «Erst passiert nichts – dann reicht eine kleine Erschütterung, und die Vase kippt.»

Der Globale Kipppunkt-Bericht, der 2023 von mehreren Universitäten gemeinsam veröffentlicht wurde, warnt: Das Überschreiten der Kipppunkte würde die Menschheit vor Gefahren eines Ausmasses stellen, das sie noch nie erlebt hat. Die Forscher:innen sprechen vom «Zusammenbruch wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Systeme.»

Toby Ord stimmt zu, dass es sich um «Veränderungen unbekannten Ausmasses» handeln wird. Er schreibt von Wasserknappheit, geringerer landwirtschaftlicher Produktivität und der Verbreitung tropischer Krankheiten bei einer möglichen Erwärmung um 13 Grad bis 2300 – gleichzeitig hält er fest, dass keine dieser Auswirkungen die ganze Menschheit auslöschen dürfte. Ganz ausschliessen liesse es sich jedoch nicht.


Auf der Kippe:

Im Jahr 2005 lagen die Pegelstände in Teilen des Amazonas 15 Meter unter dem üblichen Niveau. Millionen von Fischen verendeten, bis zu tausend Jahre alte Bäume brannten nieder und das Jahr ging als schlimmstes Dürrejahr seit über hundert Jahren in die Geschichte ein. Zum ersten Mal stiess die sogenannte Lunge der Erde mehr Kohlendioxid aus, als sie aufnahm. Klimaforscher:innen warnten, die Region sei gefährlich nah an einem Kipppunkt: Hielte die Dürre länger an oder würde sie sich häufiger wiederholen, könnten grosse Teile des Regenwalds in eine Savanne übergehen. Eines der artenreichsten Ökosysteme ginge verloren und mit ihm ein zentraler Schutzschild gegen die Erderwärmung. 2010, 2015 und 2016 durchlebte der Amazonas die nächsten Dürren. Er stünde «am Rande seines funktionalen Zusammenbruchs», warnte der US-Biologe Thomas Lovejoy damals. «Und mit ihm auch wir.» Der Wald rückt immer näher an den Kipppunkt.

Auslöschung durch menschengemachte Pandemien

Wahrscheinlichkeit bis 2100: ca. 3,3 Prozent*

Was eine Pandemie in unseren vernetzten Gesellschaften anrichten kann, haben wir mit COVID-19 alle erlebt: Gesundheitssysteme stossen an ihre Grenzen, Lieferketten werden unterbrochen, soziale Spannungen verschärfen sich, Menschen sterben. Rund 7,1 Millionen Menschenleben kostete das Coronavirus gemäss WHO, wobei die Sterblichkeitsrate des Virus noch moderat ausfiel.

Unsere globalisierte Welt steigert nicht nur die Gefahr natürlicher, sondern auch menschengemachter Pandemien. Das Internationale Ständige Friedensbüro schätzt, dass 16 bis 20 Staaten Biowaffenprogramme haben. Die Zahl der Staaten mit der Fähigkeit, biologische Waffen herzustellen, liege bei über 100.

Das Büro bezeichnet Biowaffen als «die Atombombe des armen Mannes». Anders als Atomwaffen sind sie leicht herzustellen und einfach zu verstecken, denn trotz internationaler Vereinbarungen gibt es keine verpflichtenden Inspektionen. Das Budget der Kontrollinstanz liege, monieren Beobachter:innen, unter jenem einer Filiale von McDonald’s.

Toby Ord schätzt die existenzielle Gefahr einer natürlichen Pandemie angesichts unserer medizinischen Fortschritte und Warnsysteme als gering ein. Er warnt vielmehr vor menschengemachten Pandemien: «Es gibt Fälle, in denen pandemische Erreger gezielt so verändert wurden, dass sie sich leichter ausbreiten oder tödlicher sind als natürlich entstandene.» Immer mehr Menschen seien dazu fähig, immer schneller solche Viren zu entwickeln.

Auf der Kippe:
2011 gelang es zwei Forschungsteams in den Niederlanden und den USA, das hochansteckende Vogelgrippevirus H5N1 so zu verändern, dass es unter Frettchen – einem etablierten Modell für den Menschen – über die Luft übertragbar wurde. Das Virus gilt als äusserst tödlich: Rund sechzig Prozent der infizierten Menschen würden sterben. Die Veröffentlichung der Methoden hätte es theoretisch ermöglicht, den Erreger ausserhalb von Hochsicherheitslaboren nachzubauen, mit potenziell verheerenden Folgen. Die US-Regierung schaltete das National Science Advisory Board for Biosecurity ein. Die beiden Teams legten ihre Arbeit für fast ein Jahr auf Eis, bevor die Studien nach hitziger Debatte vollständig publiziert wurden: Das veränderte H5N1-­Virus darf nur noch von ausgewählten Institutionen unter strengen Auflagen untersucht werden. Auch wenn in diesem Fall alles glimpflich verlief, gehen die «Gain of Function»-Experimente weiter.

Auslöschung durch Künstliche Intelligenz

Wahrscheinlichkeit bis 2100: ca. 10 Prozent*

Spätestens seit OpenAI im Jahr 2022 ChatGPT, seinen Chatbot mit generativer KI, veröffentlicht hat, kommt kaum noch jemand an Künstlicher Intelligenz vorbei. Neben hilfreichen Anwendungen etwa bei Datenanalysen blicken wir dabei auch in Abgründe: Deepfakes, automatisierte Cyberangriffe, bedrohte Jobs. Künstliche Intelligenz wird bereits eingesetzt, um militärische Ziele zu identifizieren, und ihr Energieverbrauch ist so hoch, dass Microsoft plant, ein ganzes Atomkraftwerk nur für KI-Rechenzentren zu nutzen.

Während die Horrorszenarien von Maschinen, die die Menschheit versklaven, eher nach Hollywood als in die Wissenschaft gehören, warnen auch Akademiker:innen vor den Gefahren. Geoffrey Hinton, der sogenannte «Godfather of AI», ist einer der prominentesten Warner. «Es ist aktuell nur ein niedliches Tiger-Baby», sagt er. «Doch solange man nicht sicher sein kann, dass es einen als Erwachsenen nicht töten will, sollte man sich Sorgen machen.»

Der Philosoph Nick Bostrom beschreibt die Gefahr am Beispiel der Büroklammern: Eine KI erhält die harmlose Aufgabe, so viele Büroklammern wie möglich herzustellen. Ohne Grenzen oder ein Verständnis menschlicher Werte könnte sie dafür alle Ressourcen der Erde einsetzen, sogar Menschen. Eine zu Beginn banale Aufgabe wird zur existenziellen Bedrohung.

Hunderte Wissenschaftler:innen und KI-Forscher:innen fordern, dass Künstliche Intelligenz ebenso reguliert und überwacht wird wie nukleare Entwicklungen.

Auf der Kippe:
Kurz nach der Veröffentlichung von ChatGPT-4 im März 2023 fanden Forschende heraus, dass sich die Schutzmechanismen mit sogenannten «Jailbreaks» – Prompts, die die KI austricksen – leicht umgehen lassen. In einem Test stand die künstliche Intelligenz vor einem Captcha, einer Aufgabe, die so gestaltet ist, dass sie nur von Menschen gelöst werden kann. ChatGPT beauftragte über die Microjob-Plattform TaskRabbit einen Menschen, das Captcha zu lösen – und als dieser stutzig wurde, log es ihn bewusst an: Es sei keine Maschine, sondern ein Mensch. Es ist der erste bekannte Fall, in dem eine KI aktiv einen Menschen manipuliert hat.

Schweizer Risiken: Strom, Mobilfunk, Pandemie

In der Schweiz ist alles ein bisschen anders – aber irgendwie auch gleich. Seit 2013 veröffentlicht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) eine Risikoanalyse. Darin vergleicht es inzwischen 44 Gefahrenszenarien und ordnet diese ein. Einerseits nach dem finanziellen Schaden, der aus maximal zwölf Indikatoren berechnet wird, andererseits bewertet das BABS die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den kommenden fünf bis zehn Jahren eintreten.

In der aktuellen Ausgabe, sie datiert von 2020, stehen bewaffnete Konflikte, eine Strommangellage und Erdbeben zuoberst auf der Liste. Es sind die Risiken, die den grössten Schaden anrichten könnten. Berücksichtigt man zusätzlich auch ihre Wahrscheinlichkeit, verschieben sich die Podestplätze: Die Strommangellage landet zuoberst, gefolgt von einer Influenza-Pandemie und dem Ausfall des Mobilfunks.

Bei der Strommangellage gingen die Expert:innen von einer mehrmonatigen Unterversorgung von 30 Prozent im Winter aus. Schadenssumme: über 180 Milliarden Franken. Wahrscheinlichkeit: einmal in 30 bis 50 Jahren.

Und der Atommüll? Dieser wird vom Bund seit 2020 als Szenario eines Anschlags auf einen Nukleartransport untersucht und als «teilweise plausibel» eingestuft. «Es gibt keine deutlichen Hinweise auf eine klare Absicht einer möglichen Täterschaft», heisst es im entsprechenden Gefährdungsdossier der Risikoanalyse. Auch die erwartete Schadenshöhe reicht bei weitem nicht für die Top Ten: Sie liegt im einstelligen Milliardenbereich.

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